SMASH!
Text: Kai Schubert
Sophiensaele, Premiere: 10.02.2005
Regie & Ausstattung: Daniela Kranz und Jenke Nordalm
Sound: Tatjana Jakob, Licht: Stefan Neumann, Produktionsleitung: Christian Holtzhauer, Assistenz: Tatjana Jakob, Judith Kästner
Mit: Ute Baggeröhr, Tim Lang, Christopher Novak, Matthias Rott, Axel Sichrovsky Eine Produktion von KranzNordalm und Sophiensæle. Gefördert durch die Senatsverwaltung für Forschung, Wissenschaft und Kultur, Berlin.
Und dann geschah etwas Lustiges mit mir. Abgesehen davon, dass es überhaupt nicht lustig war. Da muss eine Linie in uns allen sein, eine Grenze, die wie Licht und Schatten die helle Seite eines Planeten von der dunklen trennt. Für einen Augenblick, als mein Vater mich ansah, hatte ich diese Grenze überquert. Die hintere Hälfte meines Gehirns fing an, die vordere zu übernehmen.
Ich glaube
die hintere Hälfte von meinem Gehirn
übernimmt die vordere Hälfte
das ist der Teil wo die Wut sitzt
die hintere Hälfte
hintere Hälfte
schluckt die vordere
höre wie sie sich bewegt
Und dann war es weg. Dann war wieder alles wie immer. Und ich hab mir mit
meinem Vater das Spiel angesehen.
SMASH! verbindet Interviews mit Jugendlichen, biografisches und dokumentarisches Material sowie fiktive Texte des Berliner Autors Kai Schubert zu einem Abend über Jugend und Gewalt. Und über Amok.
Pressestimmen
- SMASH! (Kai Schubert) Sophiensaele Berlin (02/2005)
- „ ‚Da hat auf einmal mein Hinterkopf den Vorderkopf übernommen.’ Der Satz ist nüchtern und eindringlich gesprochen und szenisch sehr intensiv dargeboten. Er hat Kraft, weil er den Moment charakterisiert, in dem der Kontrollverlust einsetzt und die Bereitschaft zum Töten wächst. Was die Sophiensäle in der neuen Inszenierung SMASH! zeigen, ist ein beeindruckender Versuch, die Psyche jugendlicher Amokläufer auf der Bühne darzustellen und ein wenig verstehen zu lernen. SMASH! steht für Sudden Mass Assault Syndrome with Homicide, was so viel heißt wie plötzliches Massenangriffssyndrom mit Totschlag... Damit haben sich die Regisseurinnen Daniela Kranz und Jenke Nordalm beschäftigt. Sie greifen zurück auf Interviews mit Jugendlichen, biografisches und dokumentarisches Material und auf fiktive Texte des Berliner Autors Kai Schubert. Anton, Max, Otto, Konrad, (Christopher Novak, Matthias Rott, Axel Sichrovsky, Tim Lang) sind das Amok-Quartett, das auf der Bühne offenbart, was in Köpfen der Durchgedrehten vor sich gehen kann. Vier Typen, vier Formen von Amoklauf, jede in sich begründet, zeigt das Stück, das spekulativ und experimentell mit dem Phänomen umgeht, dabei aber tief in mögliche Strukturen von Amokläuferpsychen eintaucht... Den Dialogen der Protagonisten folgt eine Show als Visualisierung des Themas. Miss Reptiliengehirn (Ute Baggeröhr) führt als Peitschen knallende Moderatorin die Amokläufer vor, bietet ihnen im Stil einer zynisch ausgelegten modernen Fernsehshow ein Forum für ihre Revue der Verzweiflung... »Smash« ist eine Inszenierung, die grundsätzliche Fragen aufwirft, Denkprozesse auslöst, nicht auf emotionale Identifikationen setzt und vielleicht dadurch etwas Verständnis dafür erzeugt, warum es überhaupt zu Amokläufen kommt.“
- Neues Deutschland 15. Februar 05
- „Wenn Jugendliche Amok laufen, verlangt die Gesellschaft Erklärungen. Und die bekommt sie auch, egal, ob in Littleton oder Erfurt. Psychologen liefern Ad-hoc-Analysen der leistungsgedrückten Schüler-Seele, investigative Kinderzimmerschänder graben nach Gewaltvideos, die aus Musterzöglingen Ego-Shooter machen. Doch ‚das mit den Gründen’, wie es in der rasant zusammengesampelten Textcollage Smash! des Berliner Autors Kai Schubert heißt, ‚das ist eigentlich nicht so leicht zu erklären.’ Weswegen er es auch gar nicht erst versucht, sondern auf der Grundlage von biografischem und dokumentarischem Mörder-Material einen satirischen Don-Quixote-Ritt gegen die Schlagworte und Totschlagargumente der Ursachenforscher unternimmt. Die Regisseurinnen Daniela Kranz und Jenke Nordalm, die seit Jahren erfolgreich als Duo arbeiten, richten die Schnellschuss-Prosa in den Sophiensälen als pädagogikfreies ‚Projekt zum Thema Gewalt’ ein... Zwar gefällt sich der Abend zu sehr in Tabula-rasa-Zynismus... Doch gelingt es schließlich, die Brücke von der Polemik zum Pathos zu schlagen und berührend die Sinnlosigkeit der Motivsuche zu vermitteln, die Schicksale in Statistiken pressen will."
- Tagesspiegel 12. Februar 05
- „Er ist 35 Jahre alt. Er schlägt dreimal häufiger in der Stadt zu als auf dem Land. Er ist gut ausgebildet, kontaktscheu, sexuell gehemmt. So präsentiert sich der durchschnittliche Amokläufer in den Papieren der empirischen Sozialstatistiker. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Und sie hat ein Gesicht. Das der Attentäter von Littleton oder das des 19jährigen Robert Steinhäuser, der im April vor drei Jahren 16 Schüler und Lehrer am Erfurter Gutenberg-Gymnasium erschoß und sich anschließend selbst umbrachte. Die Gesellschaft war ratlos. Und das ist sie noch immer, wie die Regisseurinnen Jenke Nordalm und Daniela Kranz (gerade frisch mit dem Förderpreis des Gertrud-Eysoldt-Rings gekürt) in ihrem Stück "Smash!" jetzt in den Sophiensälen sehr überzeugend demonstrieren. Das Duo Kranz/Nordalm entwickelte sein Essay der potentiellen Gewalt aus Interviews mit Jugendlichen, biografischem und dokumentarischem Material sowie fiktiven Texten des Berliner Autors Kai Schubert. Auf die eine einzige Frage "Warum?" gibt es natürlich nicht nur eine Antwort. Deshalb haben Kranz/Nordalm gleich vier Protagonisten parat: Anton, Max, Otto, Konrad, die nicht nur mit ihren Anfangsbuchstaben, sondern auch mit unterschiedlichen Irritationen am Leben das kleine Alphabet des Amok durchbuchstabieren. Die peitschenknallende Miss A. führt die Herren vor, gibt ihnen, süffisant grinsend, ein Forum für ihre kleine Revue der Verzweiflung... Insgesamt gelingt den Regisseurinnen eine plausible szenische Erkundung seelischer Schieflagen. Die fügt sich zu einem erstaunlich bunten Abend zusammen, durch den aber wieder subtil die Schatten der Ohnmacht huschen."
- Morgenpost 13. Februar 05
- „Vier sendungsbewusste Schlipsträger debattieren mit geschmeidigen Gesichtsmuskeln über die Frage, was Jugendliche zu Gewalt treibt. Flott rasseln die Vokabeln aus den Mündern, heiß glüht das Engagement, und um der Beste zu sein, redet man sich gern um Kopf und Kragen. Konkurrenz heißt unser aller Zauberwort. "Bevor ich heute hierher fuhr", beichtet einer, "habe ich meiner Frau und unseren zwei Kindern jeweils einmal in den Hinterkopf geschossen". Ups. Die Herrenrunde schweigt. Einer nestelt gesenkten Hauptes an der Hosentasche. Der nächste hat sich vermutlich verhört, nimmt aber vorsichtshalber Abstand. Des dritten Mimik verrät, dass er der Idee unter Umständen nicht abgeneigt ist. Aber die ganze schöne Diskussion ist kaputt. "Dies ist natürlich nur ein Beispiel", sagt der Störenfried endlich. Erleichterung. Lockerung. Die Guten sind wieder unter sich. Die Wortschlacht rasselt weiter. Doch ab jetzt spielt Angst hinein. Und Hilflosigkeit. Dies ist nur eine von unzähligen szenischen Varianten, in denen die Schauspieler Ute Baggeröhr, Christopher Novak, Matthias Rott, Axel Sichrovsky und Tim Lang der Frage nachgehen, wie viel Amokläufer in jedem von uns steckt. Es ist - soviel wissen wir nach achtzig aufregenden Minuten - mehr, als uns recht ist... Kai Schubert hat unter Zuhilfenahme dokumentarischen Materials einen Text geschrieben, den sich die Akteure mit Lust und Können unter den Nagel reißen. Durch silberne Glitzerfransen stürzt sich die starke Truppe in immer neue Versuchsanordnungen. Miss Amok präsentiert in ihrer gleichnamigen Show arme Täterwürstchen. "Ich möchte spüren, was ist, wenn man einen umbringt" lautet der Titelsong. Die Richtigmacher üben Betroffenheitsgesichter und spielen Benefiz-Jazz auf getretenen Plüschelefanten. Der Fleisch gewordene Durchschnitts-Amokläufer gibt seine statistischen Maße bekannt. Diese sind den unseren verblüffend ähnlich. Unter Kreischen schwingt die Domina ihre Peitsche, bis die Hengste Männchen machen... Und die Herren quasseln sich die Angst aus dem Leib und die Orden an die Brust. Unten noch in Anzughosen, oben schon im hippen Teenie-Look, ziehen sie sich die Strumpfmasken über. Dann sinken sie auf blutroter Fläche leblos in sich zusammen. Wie viele Rollen ein jeder doch spielen kann. All das passiert, wenn man sich traut, dem Schrecken, da er sich nicht bannen lässt, mit voller Absicht ins Gesicht zu blicken, und sei es das eigene.“
- Berliner Zeitung 15. Februar 05