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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

Paradies

nach dem Roman  von A.L. Kennedy in einer Theaterfassung von Jenke Nordalm

LTT. Premiere 27.09.2009 (eingeladen zum Kaltstartfestival in Hamburg)

Inszenierung Jenke Nordalm

Bühne und Kostüme Jelena Nagorni

Mit: Katja Gaudard, Udo Rau

 

Trailer  

 

Pressestimmen

Katja Gaudard zeichnet diese Hannah auch zunächst so, als ob deren Trinksucht die nur leicht entgleiste Form einer ironisch-nonchalanten Lebensart sei. Gleichzeitig wird klar, dass diese Hannah bereits in einem pathologisch fortgeschrittenen Stadium mit Sekundärproblemen des Alkoholismus okkupiert ist - mit der Beschaffung von Stoff und mit der Aufarbeitung von Filmrissen. Realismus? Bloß nicht. Lallen und Torkeln? So gut wie nie. Regisseurin Jenke Nordalm stellt Hannahs Krankheitsprotokoll in einen abstrakten Gedankenraum (Bühne: Jelena Nagorni). Ab und zu sieht sogar das Publikum doppelt, real und als Filmprojektion. Und in schlimmen Momenten wirkt der mit weißen Hängeketten umgebene Raum wie ein halluziniertes Sterbezimmer. Katja Gaudard erfindet ihrer Antiheldin eine Vielzahl innerer und äußerer Stimmen - aufmüpfig, dann wieder traurig-clownesk, oft flapsig, in schlimmen Augenblicken atemlos schnell memorierend: die Sprache als Seismograph für tiefer liegende Verwundungen.

Immer wieder in der rund 105-minütigen Bühnenfassung des Romans, zu der Jenke Nordalm die markantesten Szenen verdichtet hat, knallen dann doch die Tiefpunkte, die Exzesse, die Totalausraster ins Protokoll und zerdeppern das Psychogramm einer fidelen, toughen Ulknudel-Schluckerin. Harte Momente, in denen Katja Gaudard sehr eindrücklich eine derangierte, würdelos gewordene Hannah zeigt, wie sie sich auf allen Vieren in einer Ecke verkriecht. Wie sie auf den Boden pisst, sich mit Dreck beschmiert und "O Haupt voll Blut und Wunden" brüllt. Das "Paradies" am LTT bleibt wie im Buch eine Abwärtspirale aus Suff, Entzug und Weitertrinken. Jenke Nordalm erzählt ihre Bühnenfassung ganz im Kennedy'schen Sinne: Unsentimental und direkt. Schonungslos und unpathetisch. Illusionslos und ohne wohlfeile Sozial- und Ursachenpsychologie. Manchmal mit einer gewissen bockigen, bewusst unkorrekten Leichtigkeit (ohne zu verharmlosen). Mit unbarmherziger Härte und lebensweisem Humor.

Nachtkritik 28. September 09

 

Die Schauspielerin Katja Gaudard zeichnet diese Hannah als quietschfidele Rauschkugel, als freche Plaudertasche, als aufgedrehte Entertainerin, die selbst in existenziell bedrohlicher Schräglage ihren trockenen Witz behält, ein tapferes "Trinkerlächeln" aufsetzt und sich flapsig scherzend über zunehmende Gedächtnislücken hinwegrettet. 

Nein, diese Hannah ist bei Gaudard keine drepressive Säuferin, sondern eine rotzfrech bekennende Genuss-, Humor- und Sinnlichkeitstrinkerin. Die Sauferei, so hat sie sich das zurechtgelegt, ist bei ihr nur eine erweiterte, leicht entgleiste Variante eines sowieso lustgierigen Lebensstils. Auch eine Vorstufe zu rauschhaftem Sex. 

Nordalm übersetzt den Roman in einen vielstimmigen Monolog auf der Bühne, aus dem Katja Gaudard eine fesselnde Poyphonie innerer und äußerer Stimmen herausarbeitet: traurig und doch munter plappernd, trotzig und mit windschiefem Lächeln, ramponiert und zärtlich. Was sich durchzieht, ist eine selbstanalytische Distanz. Mit einer expressiv-naturalistischen Trinkerinnenbeichte hat Gaudards Spiel wenig zu tun. Kein Lallen, kein Torkeln. Jenke Nordalm plaziert die Krankheitsprotokolle Hannahs in einen kahl-abstrakten Gedankenraum. Rauschzustände werden allenfalls als Rutschpartien über vollgesaute Böden, als Traumballett über glitschige Flüssigkeitsfilme visualisiert. 

Beschönigt wird nichts. Krass der Würdeverlust bei Gaudards Hannah. Das Kotzen, das besinnungslose Johlen, das Auf-allen-vieren-Kriechen. Wie sie sich mit Dreck beschmiert und halb bewusstlos "O Haupt voll Blut und Wunden" röhrt.

Manchmal verschwimmt die Abfolge von Suff, Entzug und Rückfall zu einem paranoiden, unentwirrbaren halluzinogenen Geflecht.

Eine dichte, starke Inszenierung. sie verzichtet, getreu dem Tonfall des Romans, auf wohlfeile Kausaltheorien. Stattdessen belässt sie dieser Hannah eine wiederständige, unkorrekte Leichtigkeit - und, trotz aller Beredtheit, ein stummes Geheimnis.

Theater der Zeit November 09 

 

Ein packendes, intensives Kammerspiel. Extrem, exhibitionistisch, exzessiv: Der scham- und hemmungslose Ritt auf der Rasierklinge; zwischen Beziehungsparcours und Entziehungskur. Und in der heiklen Rolle der Trinkerin, die todesverachtend auch Unmengen an Textmassen herunterspülen muss, um sich daraufhin wieder zu erleichtern, eine diesmal wahrlich grandiose Schauspielerin. Das einzige, was hier noch trocken bleibt, ist der Humor. Wie Katja Gaudard nicht nur ihn in eine herb-eckige,, knochige Körpersprache umsetzt, ist beeindruckend - bis ins masken- oder fratzenhaft verzerrte Gesicht; ein Mi(e)nenspielfeld, das neben der entstellenden Frohsinnsgrimasse aber auch Regungen tiefster Traurigkeit und Vereinsamung preisgibt. Hannah verkommt zur hochnotpeinlichen Gestalt. Und behält, wie Katja Gaudard sie spielt, einen entscheidenden Bodensatz an Würde, den auch alle Filmrisse udn Paarläufe auf Erbrochenem, all die Peinlichkeiten und Exzesse nicht zerstören. Erschreckend klar und hellsichtig bleibt sie, stocknüchtern noch im Sturzbetrunkensein.

Zur Zeit hat es mächtig Konjunktur, alle möglichen und unmöglichen Nicht-Theatertexte für die Bühne zu ertüchtigen. Hier ist das sogar geglückt. Nordalm Fassung ist tatsächlich ein Theatertext geworden, selbst wo er Erzähltext bleibt. Allmählich erst entwickelt er sich dann (dia)logischer, indem er Hannahs inneren Monolog aufbricht und andere Figuren, die Udo Rau allesamt mit stichwörtlicher Gelassenheit beziehungsweise im Therapeutensound souffliert, mehr oder minder ins Spiel bringt. Doch nur Saufkumpan Robert befindet sich mit Gegenüber Hannah auf Augenhöhe - und das ist oft genug knapp über dem Fußboden.

POptisch gibt im Bühnenhintergrund ein Fransenvorhang dem verfransten Leben einen Sinn: Gerade durchlässig genug, um es wie vom Winde verweht erscheinen zu lassen; und fest genug, um als Projektionsfläche für Filmeinspielungen zu fungieren. So sieht das Publikum gelegentlich ähnlich verschwommen oder doppelt, wie das bei Hannah öfter der Fall sein dürfte.  Ein weißes Sideboard dient zentral als Tresen und Haltepunkt. Am Schluss zieht sich Hannah dorthinein zurück wie ein waidwundes Tier. Und spricht vom Anfang, wo alles am Ende ist. Ein starkes Stück.

Schwäbisches Tagblatt Tübingen 29. September 09 

 

Katja Gaudard schildert diese steigenden Promillestufen in unerbittlicher Genauigkeit - plappernde Ironie weicht einem immer verzerrter wirkenden Lächeln, einer immer aufgedrehteren Stimmung. Bis dann der Absturz kommt. Gaudard macht das alles fast ganz ohne Torkeln und Lallen, doch gerade im nicht realistischen Spiel wirken diese inneren Stimmen umso präziser, eindringlicher, gespenstiischer. Dabei wird nichts beschönigt. Der Würdeverlust. Das Kotzen, das Brüllen, das Auf-allen-Vieren-Kriechen. Und weil die Regie strikt auf Ursachenpsychologie verzichtet, bleibt stets ein Geheimnis um diese Hannah, die sich da aufmüpfig, frech, clownesk, aber auch zärtlich, sehnsüchtig und traurig um den Verstand trinkt. Die Regie? Gewinnt diesem Einbahnstraßenthema viel Tragikomik ab. Keine Geschichte. Eher die unsentimentale und schonungslose Schilderung eines Suchtzustands.

Reutlinger Nachrichten 29 September 09