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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

Winterreise

Elfriede Jelinek

Landestheater Tübingen. Premiere 19.04.2013

Inszenierung: Jenke Nordalm

Bühne: Jelena Nagorni

Kostüm: Vesna Hiltmann

Musikalische Leitung: Henrik von Holtum 

Mit: David Liske, Silvia Pfändner, Julienne Pfeil, Patrick Seletzky, Gotthard Sinn, Philip Wilhelmi

Unter besonderer Beteiligung von Uta Krause 

 

Trailer  

 

Pressestimmen

Jelineks "Winterreise" ist Wortmusik. Und Regisseurin Jenke Nordalm hochmusikalisch. Zwei Beispiele: Am Ende der Einweisung des Vaters ist es tatsächlich totenstill in der Werkstatt, man fällt in diesen paar Sekunden tief, vermutlich in eine Gletscherspalte. Oder: Wenn Julienne Pfeil diesen sirrenden, hohen Ton auf der Geige spielt - klingt so die Zeit, wenn sie ungelebt vertan ist? - dann weiß der Zuschauer auch ohne das Stück zu kennen intuitiv: Das wars. Es ist vorbei. Es wird nichts mehr kommen. Jelineks "Winterreise" ist zwar ein zusammengezimmerter Text, der als Theaterorganismus auf dieser Bühne aber lebt, weit ausschreitet, tatsächlich wandert, mäandert, Raum greift, ein Text mit Raumforderung, also ein Geschwür, sehr autoaggressiv, immer die alte Jelinek-Leier natürlich, sie kann ja nichts anderes, aber das schon. Jenke Nordalm hat ein ganzes Arsenal an Umsetzungen parat. Großartig die Idee, teils auf reines Gesichtstheater auf dem Bildschirm zurückzugreifen, auf die wortlosen Befremdungen, die Sivia Pfändner unter Perücke, mit verschmiert roten Lippen, teils unter Netzstrumpf verpuppt, erprobt: Eine Larve unter vielen, von Kostümbildnerin Vesna Hiltmann zu einer Panoptikumsparade ausgestattet, die sich sehen lassen kann. Gotthard Sinn als dementer Vater, dem die Autorin hier ein Denkmal setzt. Die Regisseurin stellt seine Erinnerungslücken durch einen sichtbaren Souffleur aus, dessen Tempo der alte Mann nicht mehr gewachsen ist. Das Beschleunigungsopfer wird vom Text erschlagen. Furios und ergreifend. Ebenso ergreifend, aber nun gleichzeitig witzig, ja die schönste Stelle des Abends:Julienne Pfeil, als Almmädeli mit Kuhglocke auf dem Kühlschrank sitzend, im Schweizer Heimatdialekt. Übereinstimmung zwischen Rolle und Jelineks Text - solche Funken sind es, die Theater braucht. Wer will so tief in die Jelinekwelt hineinkriechen? Jenke Nordalm hat sie jedenfalls bereist und bebildert. Ohne die Leistung anderer Regisseure schmälern zu wollen, darf man inzwischen doch feststellen, dass ihre Inszenierungen mit die besten der letzten paar LTT-Jahre waren. Jelineks "Winterreise" ist ein weiterer Beleg dafür. Muss man Elfriede Jelinek mögen? Nein. Dass man daraus trotzdem Theater machen kann, das einen auf große Reise mitnimmt, zeigt diese Inszenierung.

Schwäbisches Tagblatt 22. April 13 

 

Frostig und unverfroren geht es zu bei der Premiere von Elfriede Jelineks "Winterreise" am Freitagabend in der LTT-Werkstatt, scharfzüngig polyfon und abgründig. Jelineks Stück, eine jener berühmt-berüchtigten Textflächen, die auf Rollenvorgaben, Regieanweisungen und Dialoge verzichten und Regisseure zwangsläufig zu Co-Autoren machen, entwickelt trotz der Verschiedenartigkeit seines Materials eine ungeheure Sogkraft, die wesentlich von der Sprache ausgeht, deren Wirkung Nordalms Inszenierung aber noch zu verstärken weiß. Bei der Premiere am Freitag gab's für Akteure auf und hinter der Bühne viel Applaus.  Das hervorragende Schauspielensemble hat die Musikalität von Jelineks Sprache, ihren Furor, die verunsicherte und verunsichernde Kraft ihres postdramatischen Bühnentextes gut verinnerlicht und findet, mal sparsam, mal eruptiv, die passenden Gesten dazu.

Reutlinger Generalanzeiger 22. April 13 

 

Alles in allem ein spielerisch-dekonstruktive Textflut, die von der Regie und den Schauspielern einiges an Fantasie abverlangt, damit sie bei der Übersetzung auf die Bühne einigermaßen konkret, verständlich und gleichzeitig verspielt bleibt. Jelena Nagorni hat die LTT-Werkstatt in ein 360-Grad-Alpenkino verwandelt, mit Bergen ringsum, im Fernseher auch Berge, samt Schneekuppen. Da wird einem ganz folkloristisch ums Herz, aus dem Radio dudelt Blasmusik. Ein Berg aus Plastikstühlen lädt zur Besteigung ein, genauso wie die Empore, die mit einer Papierzerfleddermaschine ausgestattet ist, denn schließlich ist alles vergänglich, auch Sinn und Text, Verweisung und Spiel. Die Bilder stehen zum Text in einem sehr variantenreichen Verhältnis, mal als Illustration, mal als Irritation. 

Südwestpresse 22. April 13