Unterleuten
UA nach dem Roman von Juli Zeh
DNT Weimar. Premiere 18.11.2017
Inszenierung: Jenke Nordalm
Bühne: Katrin Busching
Kostüme: Vesna Hiltmann
Musik: Ulf Steinhauer
Mit: Nahuel Häfliger, Christoph Heckel, Bastian Heidenreich, Johanna Geißler, Sebastian Kowski, Julius Kuhn, Max Landgrebe, Bernd Lange, Simone Müller, Sebastian Nakajew, Nadia Robiné, Lutz Salzmann, Ulf Steinhauer, Dascha Trautwein, Elke Wieditz, Anna Windmüller
Pressestimmen
In flottem Tempo werden die Bewohner Unterleutens vorgestellt. Um zu verstehen, wer wer ist und wer wen liebt, hasst, erträgt oder alles gleichzeitig, muss der Zuschauer aufmerksam zuhören. Das Publikum bleibt von Anfang an dran. Spürbar. Das Publikum fiebert mit im Kampf um oder gegen die Windräder. Die spannend erzählte Handlung zieht in ihren Bann. Großartig gespielt verfliegen die fast drei Stunden in "Unterleuten" im Nu.
mdr Thüringen Journal 19.11.17
Die Inszenierung erweist sich als unterhaltsames Volkstheater über ein Dorf nach der Wende. Dieses Dorf Unterleuten, es könnte überall sein. Es kämpft ums Überleben, fast trotzig wirken die Flaggen, die im Halbrund die Bühne rahmen: "Unser Dorf hat Zukunft!" steht darauf, während man in Wahrheit schnell spürt, dass das alles andere als sicher ist. Zunächst findet Regisseurin Jenke Nordalm eine sehr gute Idee, um den Stoff überhaupt für das Theater zu strukturieren. Eine Romanfigur wird auf der Bühne zur Erzählerin. Körnchen, im Buch ein Kindergartenmädchen, ist hier eine junge Frau, die die Zuschauer quasi rückblickend mitnimmt in das Dorf ihrer Kindheit. Mit ihrer Hilfe werden bis zur Pause die aktuellen Konflikte im Dorf ziemlich prägnant mitgeteilt. Zugegeben, mit recht großem Unterhaltungswert. Die Handlung wird zügig und fast kabarettistisch zugespitzt abgehandelt. Jede Person ist auf ihre Art schrullig und komisch, und jeder im Publikum weiß schnell, was gemeint ist. Als Krönchen, die Erzählerin, den Abend beschließt mit der Hoffnung, dass es irgendwann ein neues Unterleuten geben werde, ohne die Altlasten und Klischees der Geschichte, möchte man es glauben und mit ihr darauf hoffen. Auf den Fahnen im Dorf steht inzwischen der Name des Windpark-Investors. So viel immerhin ist am Ende der Inszenierung erreicht: Man versteht, dass es so einfach nie sein wird, dass jeder neue "Wind of Change" neue Konflikte mit sich bringen wird. Großer Premierenapplaus.
mdr Kultur 18.11.17
In einer hauseigenen Version erlebte das Werk am Sonnabend im Deutschen Nationaltheater Weimar seine Uraufführung, die mit viel Beifall bedacht wurde. Regisseurin Jenke Nordalm und Dramaturgin Beate Seidel folgen in ihrer Bühnenfassung zwar dem Puzzle-Aufbau des Buches, um Komprimierung aber kommen sie nicht herum, und so ist es vor allem dem überzeugenden Ensemble zu danken, dass trotz der nötigen Kürzungen nicht zur Gänze bloße Abziehbilder auf der Bühne agieren. Dem erbitterten Kleinkrieg vom Junkersohn Grombrowski (mit großartiger Präsenz Sebastian Kowski) und seinem Gegenspieler Kron (bei Lutz Salzmann ein trotziger Altkommunist, der müde geworden ist) ordnet sich alles unter. Aber es ist auch für die anderen ein Kampf ums Überleben in Zeiten des Wandels, bei dem die Dorfbewohner nie gefragt wurden: Enteignung, Zwangskollektivierung, Die Windkraftanlage - kam alles von "denen da oben". Das Gefühl der Machtlosigkeit und Resignation hier, Aufbruchstimmung bei den zugezogenen Jüngeren und denen aus dem Westen, die diese Vergangenheit nicht mit sich herumschleppen und den Kopf frei für Beute haben. In diesem Mikrokosmos spiegelt sich die große Welt: Eigeninteresse als Maß der Dinge, wofür zur Schau getragene eiserne Prinzipien schnell über Bord geworfen werden. "Unterleuten" als gutgemachter Bilderreigen zu Buch. Krons Enkelin Krönchen (Simone Müller) hat als Vertreterin einer neuen Generation das erzählerische Zepter in der Hand, verknüpft die Vielzahl der Personen und kommentiert deren Verbindungen, Ulf Steinhauer legt mit seiner Gitarre einen mal dramatischen, mal melancholischen Ton über die Szenerie, die an brutalen, nachdenklichen, tragischen und auch komischen Momenten alles zu bieten hat, was das Leben ausmacht - in einer Gemeinschaft, die am Ende dieses fast dreistündigen Kampfes für beziehungsweise gegen Windmühlen in Gewinner und Verlierer zerfällt.
Freie Presse 21.11.17
Es ist, Helmut Kohls Stimme verkündet es aus dem Off, nach der Wende. Es donnert und blitzt, einer aus dem Dorf stirbt, und die Bühne dreht sich zwanzig Jahre weiter. Unterleuten heute: Wieder ringen sie um die Existenz. "Unser Dorf hat Zukunft", haben sie geflaggt, nur will keiner mehr an die versprochenen blühenden Landschaften glauben, weder die Einheimischen noch die aus Berlin Zugezogenen. Man koexistiert halbwegs frledlich, bis eine Investmentfirma ausgerechnet dort ihren Windpark errichten will. Naturparadies oder Windparkhölle? Wer profitiert, wer verliert? Arena frei, das Windgefecht ist eröffnet! Was als Revue beginnt, strebt nach Komödie und verendet in tragikomischen Zügen. Ulf Steinhauers melancholisch klimpernde oder aggressiv schlagende Gitarre sorgt für Ton und Rhythmus. Der Witz an der Weimarer Windpark-Posse: Am Ende entscheidet nicht der Volkswille, sondern ein überquellendes Scheißhaus.
TLZ 20.11.17
Lakonisch und den Zufall vor die Verschwörung stellend erzählt Zeh multiperspektivisch von den Entwicklungen im Dorf, als die Windkraftfirma Veto-Direkt den Plan vorstellt, auf zehn Hektar einen Windkraftpark zu errichten. Diese Ankündigung setzt ein komplexes Spiel von Intrigen und Machtspielchen in Gang, die das Dorf zerwühlen wie ein amoklaufender Mähdrescher. Regisseurin Jenke Nordalm und Dramaturgin Beate Seidel versuchen, all dies möglichst unverkrampft und direkt auf die Bühne zu werfen. Auf knapp zweieinhalb Stunden haben sie den Roman eingedampft, ohne die großen Handlungsstränge anzutasten. 15 Schauspieler braucht es und den Musiker Ulf Steinhauer, der das Ganze mit der E-Gitarre unterlegt und dabei zwischen Rock, Blues und Country changiert. Gegenüber fläzt sich Simone Müller als Chronistin Körnchen im Sessel, gibt die muntere Kommentatorin des Gesellschaftsspiels in ihrem Heimatdorf und knallt prägnant formulierte Sentenzen zur Zeit heraus. Auf der Bühne selbst herrscht vor allem die große brandenburgische Leere. Bühnenbildnerin Katrin Busching lässt dem Ensemble viel Platz und beschränkt sich auf ein paar wesentliche Details zum Zustand des Dorfs: der gepflasterte Boden strotzt vor Löchern, und neun große Banner mit der Aufschrift "Unser Dorf hat Zukunft" markieren den Startpunkt des abgebrochenen Real-Sozialismus. Zu Beginn dröhnt Helmut Kohls Diktum der blühenden Landschaften über die Bühne. Nach der Pause, also im Hier und Jetzt, bilden die Fahnen mit dem Logo der Windkraftfirma eine lange Reihe. Aus der Tiefe des Raumes spielen die Schauspieler kurz und knackig, mit dem unbedingten Willen zur Pointe. Aus der Fülle des Materials entsteht ein solider, kurzweiliger Abend.
Theater heute 1/18
Doch wer am Ende im Kampf der Interessen obsiegt, ist keineswegs im Voraus ausgemacht - und so kommt es zu einem überraschenden Ausgang des Geschehens. Allerdings mit der weniger überraschenden Konsequenz, dass die Dorfgemeinschaft und ihre Mitglieder sich gegenseitig und auch sich selbst zerstören. Am Ende gibt es einen Windpark. Und dass der den Blick in die idyllische Landschaft stören könnte, ist ohne Belang, dann da ist niemand mehr, der das genießen wollen würde. Die größte Verwüstung richtet der Windpark unter den Menschen an, das ist die erste treffende Pointe des Abends. Die zweite Pointe ist, dass in der Anarchie der Interessen niemand die Wahrheit sagt. Denn wer es tun würde, schadet nur sich selbst. Und wer öffentlich behauptet, gegen den Windpark zu sein, hat möglicherweise nur die Absicht, einen Konkurrenten auszustechen. Die Interessen werden verschleiert, und wem das am besten gelingt, der hat zumindest gute Aussichten, am Ende als Gewinner dazustehen. Was man auf der Bühne sehen kann, sind also Menschen, die sich verstellen. Und man merkt, was gelungene dramatische Kunst ausmacht: im Theater Menschen Theater spielen zu sehen. Und angesichts dieser Verdopplungen wird die Wirklichkeit doch etwas durchsichtiger. Der Konflikt, der durch die Inwertsetzung geschürt wird, ist für die Bühne gut geeignet.
Theater der Zeit 1/18