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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

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Der Prozess

von Franz Kafka

LTT Tübingen. Premiere 26.03.2021

Inszenierung: Jenke Nordalm

Bühne und Kostüm: Vesna Hiltmann

Sounddesign: Ulf Steinhauer 

Mit: Nicolai Gonther, Justin Hibbeler, Gilbert Mieroph, Julia Staufer

 

Pressestimmen

Das Landestheater Tübingen hat Kafkas Obsessionen nun eindringlich auf die Bühne gebracht. Jenke Nordalm, spezialisiert auch auf die Dramatisierung literarischer Vorlagen, hat ihre erdrückende Zwanghaftigkeit in Szene gesetzt: Bizarr, dunkel, ambivalent, nah am Original. Nordalm hat darauf verzichtet, Kafkas Bilder der Gegenwart anzugleichen. Vesna Hiltmann schuf Kostüme, die aus einer gespenstischen Vergangenheit zu stammen scheinen. Ihr Bühnenbild ist in dunklen Grau- und Brauntönen gehalten: Der Ausblick auf einen aschgrauen Himmel, zerschnitten von Stromleitungen; eine Wand wie voller Rost, in der die schemenhaften Gesichter vieler Menschen schimmern; eine Wand, die eine Kreidetafel ist, auf die die Spieler hektisch Zeichen werfen werden...Zuerst spielt Justin Hibbeler den Josef K.: Ein junger Angestellter, zu Hause. Julia Staufer und Nicolai Gonther sind die Wächter, die ihn heimsuchen: Mit verstellten Bewegungsabläufen, mit zurückgestreckten Armen, vorgeschobenen Hüften, driften sie durch das Zimmer, wie seltsame Puppen oder verunglückte Animationen, boshaft, bedrohlich, unwirklich...Unmerklich, dann aber doch plötzlich ist der Moment da, in dem der Zuschauer entdeckt, dass die Schauspieler ihre Rollen getauscht haben: Nun ist Nicolai Gonther in Josef K.s Rolle geschlüpft. Später wird Julia Staufer der Angeklagte sein; ganz zuletzt, als K. sich auflehnt, wird Gilbert Mieroph ihn verkörpern... Die Schauspieler bringen neue Facetten der Figur zur Geltung - die Vorsicht, die Skepsis, Angst und Wut, die Verunsicherung und Verzweiflung. K.s Identität löst sich auf, gewinnt dann wieder an Kontur: Ein Spiel, das den Rand der Wirklichkeit bedrohlich weitet. "Sie sind auch kein besserer Mensch als ich", sagt eine der Traumfiguren zu K. "Sie haben auch einen Prozess, Sie sind auch angeklagt." Hier in dieser Zwischenwelt werden Schuhe zu Hufen, stehen bunte Zirkuspodeste im Gerichtssaal, essen Angeklagte ihre Papiere, wälzt sich der Advokat Huld in einer alten Wanne. Ulf Steinhauers Musik trägt manches noch zur Wirkung dieser Szenen bei.

Reutlinger Generalanzeiger 29.März 21 

 

K. sein: Jeder darf mal. Das Fluide passt zu unserer Zeit. Keine Festschreibungen. Es geht um Strukturen, Mechanismen. Vor allem: Wie leicht wird in Träumen aus einer Figur eine andere. Wir befinden uns in einem...Es gibt diese luziden, charmant blinzelnden Stellen bei Kafka, die seine ausweglos labyrinthische Düsternis gegengewichten, auch im Prozess. Zum Beispiel wird über Fräulein Bürstner erst gesagt, dass sie oft lange im Theater ist. Als sie dann kommt, besteht K. darauf, ihr seine Verhaftung vorzuspielen - wie im Theater. Die Szene hat Regisseurin Jenke Nordalm drin in ihrer die Traumlogik akzentuierenden Bühnenadaption. Und Witz auch, wenn auch weniger der luzide, sondern der des Grotesken, Monströsen, Nachtgesichtigen. In diesem Fach hat Gilbert Mieroph nicht anders als grandios zu nennende Auftritte, vor allem als wannenlägriger Advokat. Wie eine verzerrte Figur aus den Bildern Francis Bacons schiebt und schleppt er sich voran. Auch Nicolai Gonther lehrt einem später als Block das Fürchten - ohne dass man genau sagen könnte, warum. Genau das ist vortrefflich. Und wie ein Mix aus den verquält gewundenen Welten Bacons und dem erwähnt luziden Charme Kafkas turnen Julia Staufers Fräulein Bürstner und Justin Hibbelers K. einen verdreht anmutigen, erotisch aufgeladenen pas de deux, jeder für sich...Wenn es ein Moment gibt, das diese Inszenierung akzentuiert, dann ist es ein alles grundierendes, dunkles Begehren, das dämonisch Macht über die Menschen erlangt. Im Focus dieser Inszenierung steht vor allem K.s eigenes Begehren. Dass sein Kuss ausgerechnet an Fräulein Bürstners Gurgel geht, ist kein Zufall. Vor allem Justin Hibbeler spielt als Leni wie als Gerichtsdiener auf der Klaviatur der Lockungen. Geschlecht und libidinöse Orientierung spielen dabei keine Rolle - durchdringen aber alles. Wie Kafkas Roman führt auch diese Inszenierung auf die endlosen Flure der Ämter. Und in die Strafkolonie, den Folterkeller - existierende Realitäten zumindest totalitärer Staaten. Wer ist schuld? Immer der, der fragt, zuschaut, der es sich vorstellt. Also K...Gänge und Stufen bei Kafka: Nach draußen, nach oben oder ganz nach innen führen sie nie, nach endlosem Gehen strandet man beim Ausgangspunkt, der seltsamerweise weiter vom Aus- oder Eingang entfernt liegt, nach allem Raufsteigen landet man weiter unten - wie in den Bildern Giorgio de Chiricos.

Schwäbisches Tagblatt 31.März 21