Das Fest
von Thomas Vinterberg&Mogens Rukov
Wuppertaler Bühnen. Premiere 20.09.2025
Inszenierung: Jenke Nordalm
Bühne und Kostüm: Vesna Hiltmann
Musik: Ulf Steinhauer
Mit: Thomas Braus, Celine Hambach, Sivia Munzón López, Julia Meier, Alexander Peiler, Konstantin Rickert, Paula Schäfer, Stefan Walz, Kevin Wilke, Julia Wolff
Pressestimmen
Was damals als gnadenlos direkt, kühl, intensiv, radikal und bezwingend aktuell betitelt wurde, geht auch heute noch unter die Haut. Den Sturm des dänischen Filmemachers auf die Festung Familie bringt nun das Wuppertaler Schauspiel auf die große Bühne der Oper; schnörkellos, desillusionierend, fesselnd und beeindruckend. Christian wurde als Kind zusammen mit seiner Zwillingsschwester Linda vom Vater missbraucht. Als Helge seine insgesamt vier Kinder zur Feier seines 60. Geburtstags einlädt, ist Linda tot. Sie hat sich umgebracht. Das wohl schwerwiegendste Tabuthema der Familie - neben vielen anderen wie Alkoholsucht, Ehebruch, finanziellen Problemen. Christian will den Vater stellen. Womit er nicht gerechnet hat: Wahr ist, was die Mehrheit glauben will. Die Familie wehrt sich, schließt den aus, der ihren Selbstbetrug entlarvt, stützt dieser doch das gewohnte Leben. Alexander Peiler überzeugt als ambivalenter junger Außenseiter zwischen Selbstzweifeln und Selbstermächtigung, Aufgabe und Widerstand - ist überaus nachvollziehbar- und -fühlbar. Er führt ein Ensemble an, das zu beeindrucken vermag, nah an den Figuren, die es auf den Punkt und stimmig spielt. Ob Julia Meier als zunehmend unglückliche und ohnmächtig-feige Schwester oder Konstantin Rickert als gewalttätiger Bruder und Enfant terrible, ob Stefan Walz als selbstgerechter Vater, der im Rückzug uneinsichtig bleibt, ob Julia Wolff als unerträglich sich selbst verleugnende Mutter, die die Kinder dem sicheren Leben opfert. Um nur einige zu nennen. Gesichter erstarren, sind leer, schweigen, schreien, entgleisen. Lachen ist verlegen, hysterisch, übertüncht, bleibt im Halse stecken. Schweigen lastet bleischwer und unaushaltbar. Stattdessen vernichten Worte, klagen an, verhüllen, banalisieren, verdrehen. Direkt, knapp, brutal oder verlogen. Am Ende gibt es keine Sieger, keine Perspektive. Der ausgeschlossene Helge hinterlässt erschöpfte Krieger ohne Perspektive. Der erschöpfte Zuschauer wiederum nimmt viel zum Nachdenken mit.
Westdeutsche Zeitung, 22. September 25
Zwei Stunden im Hotel "Abgrund". In "Das Fest" führt der Weg rasend schnell in einen finsteren Schlund. Großartig inszeniert von Jenke Nordalm zeigt das zehnköpfige Ensemble eine fesselnde Bühnenfassung des gleichnamigen, verstörenden 1998-Kinofilms aus Dänemark. Dem Wuppertaler Ensemble gelingt hier eine darstellerisch glänzende Leistung, die lange im Gedächtnis bleibt. Stefan Walz spielt grausig-groß, leugnet, will sich an nichts erinnern, macht den Sohn, dem er immenses Leid angetan hat, weiterhin klein. Alexander Peiler hält dagegen, lässt Licht ins Dunkel, zerbricht erneut. An diesen Männern und ihrem ungleichen Kampf hängt das Stück. Und doch: Die anderen stehen ihnen kaum nach. Konstantin Rickert als jüngerer Sohn Michael - ein frauenschlagender, rassistischer Opportunist. Verloren auch er. Silvia Munzón López ist seine in der Ehe vergewaltigte sowie betrogene Frau - eine unheilbare Schönfärberin. Julia Meier als jüngere Schwester Helene - fragil und mit einem "Daddy"-Song, der frösteln lässt. Paula Schäfer ist die liebessehnsüchtige Kellnerin, Opfer der Männer. Und in ihrer zweiten Rolle als tote Schwester Linda aus dem Jenseits ganz intensiv. Thomas Braus, "Toastmaster", quasi Moderator des Festes - aasig-glatt, dem Hausherrn hinterher schleimend. Julia Wolff als Helges Ehefrau hält die Fassade hoch, reißt sie aber am Ende wortlos ein. Kevin Wilke als Oberkellner glitzert verbittert. Und Celine Hambach als Helenes englischsprachige Geliebte bringt die Draußen-Welt in dieses düstere Loch. Und ein dickes Stück Ehrlichkeit. Wer wirklich feingetuntes Ensemble-Theater sehen will, das keine Sekunde lockerlässt, der geht hinein in dieses "Herz der Finsternis".
Wuppertaler Rundschau, 28. September
Das Fest wird zu einem Abend über Wahrheit, Schuld und die desaströs Kraft des Schweigens - und darüber, was geschieht, wenn es endlich gebrochen wird. Was als große Geburtstagsfeier beginnt, entwickelt sich zu einem schonungslosen Familiendrama. Bei der Inszenierung in Wuppertal wurde der Fokus auf die unmittelbare Wucht des Stoffes, ohne psychologische Beschönigung, gelegt. So entstand eine Mischung aus Drama und feinsinnigem Humor. Die brillante Inszenierung bringt die Darsteller zur Höchstform und hält das Publikum in einer ergreifenden Balance zwischen Mitgefühl und Entsetzen. Das Premierenpublikum reagierte mit "Standing Ovations".
Die Stadtzeitung, 21. September 25
Helge (in schwieriger Balance souverän: Stefan Walz) wird 60 und hat zum Fest ins familieneigene Hotel eingeladen. Die noch lebenden Angehörigen (Tochter Linda hat sich das Leben genommen) und Freunde erscheinen samt Partner/in, ob eingeladen oder auch nicht wie der cholerische jüngste Sohn Michael (explosiv bösartig: Konstantin Rickert) mit seiner unterdrückten Ehefrau Mette (brillant zwischen Kleinmut und Kontra wechselnd: Silvia Munzón López), die schließlich auch auszuteilen weiß. Der ältere Sohn Christian, Lindas Zwillingsbruder (wirkungsvoll voll brodelnder Wut: Alexander Peiler), wird schließlich die ganz kurze Lunte zünden und den Stein zum Zerfall der Familie zum Rollen bringen. Auch die jüngste Tochter Helene (tief berührend: Julia Meier), sie scheint traumatisierte, ist gekommen, allein zunächst, doch ihre schwarze Partnerin Marijoh (Celine Hambach) kommt später dazu und sieht sich üblen rassistischen Angriffen Michaels ausgesetzt. Das Fest kann trotz knisternder Konflikte beginnen, der krampfhaft um gute Stimmung bemühte Toastmaster (glänzend: Thomas Braus) erscheint und vergibt die erste Rede an Christian, der wohlüberlebt und mit expliziten Details vom gegenüberliegende Kopf der Tafel aus den Vater anprangert, ihn und seine Schwester über Jahre missbraucht zu haben. Die Gesellschaft und das Publikum erstarren für einen Moment, bis der alte Automatismus greift und unter reichlich fließendem Alkohol die Anklage unter den Tisch gewischt und unter Hurra! der Vater und in Polonaise " Das schönste Fest!" weiter gefeiert werden. Doch die Attacken werden nicht nachlassen, Mordvorwürfe gegen Helge, harsche Beschuldigung der Mutter Else als Mitwisserin des Missbrauchs (in zerbröselnder Vornehmheit: Julia Wolff) und der Fund eines offen verlesenen Abschiedsbriefes Lindas, die ihrem Leben ein Ende setzte, vernichten schließlich das Fest und den schönen Schein. Ein hoch motiviertes Ensemble trug das quälende Stück über die gut zwei Stunden mit den Glanzlichtern Alexander Peiler, Paula Schäfer (in der Charakter-Nebenrolle der Bediensteten Pia) und vor allem Julia Meier zum Erfolg.
Musenblätter, 23. September 25
Die überlange Tafel erinnert an das letzte Abendmahl. Vater und Christian an den Kopfenden, gleich Kontrahenten, viel Platz zwischen allen ... und im Geiste und teils als Geist dabei: Linda, die Schwester Christians, die Suizid beging. Christian hält eine Rede, spricht vom sexuellen Missbrauch des Vaters an den Kindern ... Doch das Fest geht unbeirrt weiter ... Helene singt Helge ein Lied: "My heart belongs to daddy", bis ihr die Gesichtszüge entgleisen, doch: das Fest geht weiter. Christian beschuldigt seinen Vater, Mörder seiner Schwester zu sein, doch: das Fest geht weiter ... er bezichtigt seinen Sohn einfach, psychisch krank zu sein ... Statistik: 2024 wurden in 16.354 Fällen des Verdachts des sexuellen Kindesmissbrauchs 18.085 Opfer registriert ... Das Lügengebäude bricht zusammen wie die Tafel, hinter dem abgerissenen Stillleben eröffnen sich neue Abgründe ... eine Inszenierung, die wirklich unter die Haut geht ... mit unterschwellig beeindruckender Musik, einem minimalen, tiefgründigen Bühnenbild und einem klasse agierenden Ensemble!!! Riesenapplaus!!
www.instagramm.com/leichttheaterbesessen, 21. September 25