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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

Dionysos Deutschland

von Tom Peuckert

Theater Freiburg, Premiere 08.10.2004 (eingeladen zu den Baden-Württembergischen Theatertagen)

Regie und Ausstattung: Kranz/Nordalm

Mit: Ute Baggeröhr, Alexander Gamnitzer, Thiemo Schwarz

Pressestimmen

"Keine Frage, dem Land geht es nicht gut. ‚Dionysos Deutchlan' liest man seitlich auf dem schief in die Kammerbühne ragenden Podest. Da fehlt doch was. Dahinter steht der deutsche Wald, blatt- und nadellos, und schweigt, matt beleuchtet von vier Sehschlitzen. Auf der Spielfläche sind die Umrisse von drei Toten mit weißem Klebeband gekennzeichnet...In Daniela Kranz' und Jenke Nordalms Inszenierung sind Ute Baggeröhr, Alexander Gamnitzer und Thiemo Schwarz mal sich gegenseitig reflektierende Stimme, mal einander Mitspieler...So wie die drei Darsteller sich zögernd in die Umrisse der Leichen fügen, sucht das Stück eine Diskussion über Opfer und Täter...Aus der tintenblauen Uniform schälen sich drei in braune Nickes gekleidete Spießer und setzen sich Masken auf (Kostüme und Bühne: Regieteam)...Am Ende wird der bocksgestaltige Gott durch die Schafsmasken der Darsteller gegenwärtig. Dass die Verzweigtheit dieses Monologs nicht auf Anhieb übersehen werden kann, ist sicherlich ein Problem des Abends. Aber immer wenn man denkt, die Inszenierung fände zu eindeutige Antworten oder skizziere allein Einzelschicksale, schlägt sie Haken, distanziert sich und gibt am Ende die Frage nach dem Sinn an das Publikum weiter. Und so ist die Inszenierung nicht allein eine Studie über die Banalität und Obszönität der Gewalt, sondern auch eine Beschreibung deutscher Zustände."
Kulturjoker, November 04 

"Auf der Freiburger Kammerbühne hat das destruktive Deutschland drei Gesichter. Ute Baggeröhr, Alexander Gamnitzer und Thiemo Schwarz spielen Opfer und Täter. Sie sind Wanderer und Amokläufer, Gangster und Gendarm zugleich. Eingangs nehmen sie Frontalaufstellung, als Security-Blaumänner mit verwegen aufgestüplter Uniform-Mütze. Am Ende stehen sie in Unterhemden da, haben Lebenslinien zerknüllt wie Klebstreifen, vermummen sich als traurige Bocksdämonen und schwenken schlappes Schwarz-Rot-Gold...Das Experiment ‚Dionysos Deutschland' hat sich gelohnt. Allein schon wegen der Leichtigkeit, mit der das Regieteam Kranz/Nordalm die Monologblöcke der Vorlage portioniert...hat. Und wegen der streng rhythmisierten Sprache. Die besten Sequenzen ätzen wie ein Säuredestillat der Zeitgeschichte...Es gibt nur wenige Dramatiker in Deutschland, die auf der Suche nach dem politischen Theater der Gegenwart nicht die Sprache verlieren."
Theater Heute Dezember 04 

"Die weißen Linien auf dem Boden bezeichnen die Umrisse dreier Leichen, die Namen der Tatorte fast mythische Verbrechen: In Gladbeck nahmen 1988 Gangster Bankangestellte und die Sensationsjournaille als Geiseln; im thüringischen Heldrungen wurde 2000 bei der Jagd nach dem Serienmörder Dieter Zurwehme der Wanderer Friedhelm Beate erschossen; der Amoklauf des Erfurter Schülers Robert Steinhäuser ist noch frisch im Gedächtnis. An diesen spektakulären Fällen macht der Berliner Autor Tom Peuckert...seine düstere Sicht auf eine von Hass, Gier und Gewalt zerfressene Gesellschaft fest: Deutschland, ein Totentanz, ein wüstes dionysisches Bachanal...Daniela Kranz und Jenke Nordalm...haben sie nicht ungeschickt auf drei Schauspieler...verteilt, mit Masken auf Antike getrimmt und mit Hubschrauberlärm, Pistolen und Stofftieren in der Gegenwart verankert."
Badische Zeitung, 11. Oktober 04 

"Es sind drei innere Monologe, Gedankenrasen von Todgeweihten, in die sich Peuckert mit intimer Nähe eingefunden hat...er tut dies in wunden, knappen und klaren Sätzen, die mehr Empathie als Analyse, mehr Textfläche als Drama sind. Eine behauptete Nähe, die man anmaßend finden könnte - oder eben ergreifend. Die Regisseurinnen und Jenke Nordalm haben drei Schauspieler in kahlen, deutschen Herbstwald gestellt. Auf Plastiklaminat sind die Lebenslinien der Toten geklebt, die sie bald vom Parkett zupfen. Geklont mit Gummimasken und Perücken sind sie eine einzige Person, und gleichzeitig alle drei. Eine verdoppelte Dreifaltigkeit, die mit einfachen Mitteln erzählt, dass zwischen Opfer oder Täter, Wanderer und Amokläufer nur ein schmaler Grat ist. In kleinen Bildern fangen die Regisseurinnen die medial geschürte Hysterie der Ereignisse ein...Intelligentes Accessoiretheater, aus dem ein kleiner, pathetischer Trauerruf um eine aus den Fugen geratene Welt geworden ist."
Frankfurter Rundschau, 18. Oktober 04 

Stenogramme des Todes begrüßen die Zuschauer der Freiburger Uraufführung: Auf dem Bühnenparkett sind die Umrisse dreier Opfer aufgeklebt, welche in unterschiedlichen Körperhaltungen zu lebloser Eindimensionalität verdammt bleiben. Doch wirkt das mittlere jener Abziehbilder nicht wie das Negativ eines posenden Bodybuilders? Ein Schnappschuss der Vitalität anstelle der Ohnmacht?...Die Konturen zwischen Opfern, Tätern und möglichen Verfolgern verschwimmen in Freiburg früher als im Stück...Das könnte er vielleicht sein - der Umriss eines Opfers, der eindeutig zu sein schien und doch den falschen Körper umspannte? Aber wer ist er, wenn wir seine Körpersilhouette gleich dreifach sehen, den identischen Maskenglatzkopf in krause, nachdenkliche Falten gelegt?...Identität wird hier nicht gebrochen, sondern kollektiv hergestellt...Der provokante, gesellschaftlichpolitische Hintergrund...wird...sparsam und punktuell bedient...Bevor wir noch zusammenpuzzeln können, warum es geschah, ziehen...die jeweils Getöteten ihre abgeklebten Körperumrisse vom Boden ab. Als bäumten sich ihre Schatten ein erstes und gleichzeitig letztes Mal kurz auf, um dann endgültig zu verschwinden."
Theater der Zeit, November 04