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Jenke Nordalm
Johannesstr.20
70176 Stuttgart

  Zeit:Arbeit

Projekt von Jenke Nordalm und Kai Schubert

Theater Ingolstadt. Uraufführung 16.01.2010 

Inszenierung: Jenke Nordalm

Bühne und Kostüme: Birgit Stoessel

Mit: Manuela Brugger, Rolf Germeroth, Oliver Losehand, Sascha Römisch, Olivia Stutz

 

Pressestimmen

Nach ein paar Minuten lässt sich eigentlich noch wenig sagen über einen Theaterabend, aber über diesen eines schon: Dass Autor und Regisseurin es sich nicht leicht machen. Wer es sich leicht machen wollte beim Thema Zeitarbeit, der würde von den armen verliehenen Malochern erzählen, von den Opfern eines Systems, das den Menschen zur Ware erklärt. Auf der Bühne des Kleinen Hauses des Theaters Ingolstadt stehen an diesem Samstag aber: die Verleiher. Und sie werden hier nicht einfach als Täter verurteilt. Sie bekommen eine faire Verhandlung.

"Zeit:Arbeit" heißt das nun uraufgeführte neue Werk des Duos, und der Doppelpunkt im Titel verrät, dass sie über weit mehr nachdenken wollen als über ein aktuell umstrittenes Beschäftigungsmodell.  Fünf Zeitarbeitsagenten klettern auf einem Mittelgebirge aus Bürotischen herum (Ausstattung: Birgit Stoessel), eineinhalb Stunden lang umschmeicheln, belehren und bespeien sie das Publikum mit der Heilsbotschaft der Effizienz: Fünf Jahre nur Mutter sein, "tote Zeit!" Schubert und Nordalm führen in hohem Tempo durch eine genüsslich gespielte Selbstrechtfertigung, die Wort für Wort zur Selbstentlarvung wird. Wo genau das Heil zu finden ist in der Effizienz, können die fünf nicht klären. In einer Welt, in der sich der Mensch über Arbeit definiert, werden auch die Täter zu Opfern. Dass diese These nicht herausgebrüllt, sondern differenziert diskutiert wird, mal bitterernst, mal ironisch, mal grotesk, und immer unterhaltsam - das ist das Kunststück des Abends. "Leben Sie, wie Sie leben wollen?", diese Frage steht irgendwann im Raum. Der Schlussapplaus ist recht leise, aber sehr lang. Er klingt so, als würden die Zuschauer die Frage mit nach Hause nehmen.

Süddeutsche Zeitung 18. Januar 10

 

Schubert und Nordalm entlarven den Kapitalismus als menschenfeindliches Konstrukt, das nur funktioniert, weil sich jeder belügt: dass der eigene Job sicher ist; das die eigene Arbeit geschätzt wird. Sehnsucht nach Heimat ist in dieser Welt ebenso unangebracht wie Fragen nach Zufriedenheit und Freizeit. Das Leben wird auf Morgen verschoben, auf Übermorgen. In der eindrucksvollsten Szene des Abends lass Nordalm die Schauspieler langsam über die anonymen Schreibtische schreiten, die sich zu einem Podest auftürmen. Sie führen vor Augen, was sie mit ihrer Zeit hätten machen können: Sex, Familie, Glück, Selbstverwirklichung. Aber: "Was ein unverwechselbarer Moment Leben hätte sein können", wurde eine Sitzung, ein Aktenvorgang. Auf einmal ist sie da: die Frage, was die eigene Zeit wert ist. 

Die Deutsche Bühne 3/2010

 

In "Zeit:Arbeit" nehmen sich Kai Schubert und Jenke Nordalm des hochaktuellen Themas der Weitervermietung von Arbeitskräften an - siehe Schlecker. Den dabei naheliegenden Weg, nämlich alles aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen zu schildern, vermeiden sie jedoch klugerweise und stellen stattdessen die bei einer Vermittlungsfirma Tätigen in den Mittelpunkt ihres Stücks.

Jenke Nordalm und Kai Schuber lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, auf welcher Seite ihre Sympathien liegen - dennoch vermeiden sie bei ihren Argumentationen geschickt den "Holzhammer". Gut so. Freilich, ein ironisch-zynischer Unterton war zu keinem Zeitpunkt zu überhören! Und auch das war gut so. Das Darsteller-Quintett ließ sich auf die Regie-Intentionen Nordalms prächitg ein und tat das Seine zu diesem hochinteressanten, wichtigen Theaterabend in Ingolstadt.

Augsburger Allgemeine 18. Januar 10

 

Wie eine Insel im schwarzen Nichts wirkt die Plattform aus elf grauen zusammenmontierten Schreibtischen, die sich auf Aktenordner, Papierstapel und Schubladencontainer gründet und nach hinten ansteigt. Nur wer diese Insel erreicht, suggeriert uns dieses Bild, ist gerettet. Gerettet aus dem Meer der Arbeitslosigkeit, aus dem unbarmherzigen Ticken verschwendeter Zeit. Verdienst, Sicherheit, gesellschaftlicher Status verspricht dieses spröde, harte Eiland. Aber es ist klein und bietet weder Platz noch Ressourcen für alle Schifbrüchigen.

Das neue Theaterprojekt der Stuttgarter Regisseurin und des Berliner Autors Kai Schubert setzt sich ganz allgemein mit dem Verhältnis der Gesellschaft zu Arbeit und Zeit auseinander, mit beider Qualität, mit individuellen Erwartungen und marktwirtschaftlichen Forderungen, mit Utopien und Politik, mit Gewinnstreben und Lohndumping, Existenz- und Wertefragen.

Wei Nordalm und Schubert das Thema nicht eindimensional aus der Betroffenenperspektive erzählen wollten, lassen sie ihr Stück in einer Zeitarbeitsagentur spielen. Hier werden die Probleme der Materie anhand von Beispielsfällen verhandelt, man bekommt Einblick in Mechanismen des Marktes, Argumentationsstrategien der Branche und die Pervertierung des Systems, gleichzeitig spiegeln die Strukturen der Firma exemplarisch den Arbeitsalltag in beliebigen Unternehmen wider. Zwischen Hierarchien und Liebesgetändel, Mobbing und Motivationsprogrammen, Selbstverwirklichung und Burnout, Moral und Loyalität. Ein interessanter Ansatz, denn das Stück speist sich - natürlich verdichtet und zugespitzt - aus den zahlreichen Interviews mit Vertretern der Bundesagentur für Arbeit und Zeitarbeitsfirmen, Arbeitsrechtlern und Betroffenen, die Autor und Regisseurin geführt haben. Eine Vielzahl von Stimmen hört man da, in scharfen Kontrasten und irrwitzigen Verwinkelungen, und sie zwingen den Zuschauer zu einer intensiven Auseinandersetzung. Der 90-minütige Abend im Kleinen Haus liefert eine spannende Diskussionsgrundlage. Was können wir ändern? Wie wollen wir leben? Weiterdenken erlaubt! 

Donaukurier 18. Januar 10

 

Gelungene Premiere: Mit "Zeit:Arbeit" am Theater Ingolstadt geht das Duo Nordalm/Schubert der Arbeitswelt von heute auf den Grund. Das Lachen bleibt einem dabei regelmäßig im Hals stecken.

Fünf Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma führen den ganz normalen Wahnsinn vor, der sich tagtäglich bei einer wachsenden Anzahl von Zeitarbeitsfirmen abspielt. Dass ein Mitarbeiter von einem verzweifelten "Klienten" mit einer Schere körperlich bedroht wird, gehört zu den weniger dramatischen Vorfällen. Es sind vielmehr der ständige Konkurrenzkampf, die moralischen Konflikte der Arbeitsvermittler und der ständige Optimierungs- und Flexibilisierungsdruck, dem sie ausgesetzt sind und der zeigt, dass die vermeintlichen Täter selbst Opfer von "Marktbedürfnissen" sind, die längst dei Grenzen der Zeitarbeitsbranche gesprengt haben und geradezu typisch sind für Arbeit in Deutschland (und der Welt).

Nordalm/Schubert konfrontieren das Ingolstädter Publikum nicht mit einer platten Gesellschaftskritk. Sie haben lange recherchiert, mit Personalern, Betroffenen und Chefs aus regionalen Firmen Gespräche geführt, um alle Aspekte der gegenwärtigen Arbeitswelt herauszuarbeiten, die dem flexiblen, leistungsfähigen und mobilen Arbeitswilligen mehr Chancen den je eröffnet, während sie andere Güter rücksichtslos an den Rand drängt und eliminiert. Ein Sicherheitsbedüfnis zum Beispiel, langfristige Perpektiven, Zeit außerhalb des Büros, Menschlichkeit, Familiengründung.

Die Inszenierung schafft den Spagat zwischen Dokumentation und Theater und lässt den Alltagswahnsinn der Angestellten samt allgegenwärtigen Jobverlustängsten, psychischen Störungen, chronischer Überbelastung und Burnout immer wieder zur Groteske werden. Das Lachen bleibt einem allerdings regelmäßig im Hals stecken. so differenziert Nordalm/Schubert mit ihrem Stoff umgehen, so klar wird ihre Kritik an einer aus dem Ruder gelaufenen Entwicklung. Sätze wie "Wir müssen den Menschen brechen, damit es mit der Menschheit vorangeht" werden vor dem dokumentarischen Hintergrund der Inszenierung unmittelbar als zugrunde liegende Ideologie greifbar und schlagen ein. Auch die Behauptung, dass Demokratie und Kapitalismus nicht zusammenpassen und die Forderung, das Wahlrecht, den Kündigungsschutz und die Menschenrechte abzuschaffen, um es mit dem "absoluten Kapitalismus" voranzubringen, werden leider sehr plausibel.

www.stattzeitung.in 18. Januar 10