Waschen & Leben
Dokumentarfilm von Michael Baumann und Jenke Nordalm
Deutschland 2010, Länge 90 Minuten
Eine Produktion von Eikon Südwest in Koproduktion mit SWR
Pressestimmen
Drama um Föhnwelle und Vergänglichkeit
Er ist lustig, anrührend und sehenswert: Der Dokumentarfilm "Waschen und Leben" ist eine wunderbare Geschichte über Ulla Rau-Profe und ihren Friseursalon im Stuttgarter Westen. Mit 72 steht sie noch jeden Tag im Salon.
Rau-Profes Kunden sind Senioren, die von der Gesellschaft in Vergessenheit geraten sind, und der Salon ist weit mehr als der Ort, an dem diese Alten sich die Haare schneiden lassen. Er ist Marktplatz, Sozialstation und Kummerecke. Hier sind sie lebendig, hier sprechen sie über das Sterben.
Der Friseurbesuch der liebenswerten Protagonisten ist die Auflehnung gegen die eigene Vergänglichkeit. Denn hört man auf, die Haare zu pflegen, ist das der Anfang vom Ende.
Stuttgarter Nachrichten 24. September 10
"Letzte Saison" ist ein weiteres Beispiel für die vorbildliche Doku-Tradition der produzierenden ARD-Anstalt SWR, die überwiegend im Verborgenen jenseits der Quote blüht. Bei dem Sender liefen zuletzt hinreißend genaue und handwerklich überzeugende Beispiele für die Lust am Zeigen der Gegenwart. Etwa "Waschen und Leben" von Jenke Nordalm und Michael Baumann - Impressionen aus einem altenfreundlichen Friseursalon - oder Marcus Welschs "Landschaftgeschichten" über die geheimen Verbindungen von Geschichte und Natur. In all diesen Filmen gibt es keine intellektuelle Spekulation, sondern einen Geist der Weltzugewandtheit.
Spiegel online Kultur, 13. Juli 11
Der Film
Ulla führt seit über 40 Jahren ihren Frisiersalon im Stuttgarter Westen. Die Gesprächsfäden scheinen hier nie abzureißen. Da wird Sekt getrunken, gegessen, geplaudert und das schon fast verstrichene Leben verhandelt. Ullas Kunden sind mit ihr alt geworden und lassen sie an ihrem Leben und deren Schatten teilhaben.
Frau Schrag (72), die der Verletzung, nach über 20 Jahren Ehe vom Mann verlassen worden zu sein, nun ein selbstbestimmtes Leben vorzieht. Frau Haar (88), die wie ein junges Mädchen um Selbständigkeit ringt oder Frau Eiffert (87), die ob ihrer Schmerzen, morgens gar nicht mehr aufwachen mag. Sie alle zerbrechen sich den Kopf über ihre verbleibende Zeit. Herr Bläser (75) hat beispielsweise vorgesorgt und die einzige Immobilie seines Lebens erstanden: ein hübsches Stück Friedhofsrasen, obwohl nicht mal der 101-jährige Herr Holzschuh Ulla sagen kann, was denn nun ‚danach’ eigentlich kommen mag.
Sie alle brauchen Ulla. Sie ist eine feste Instanz in ihrer Leben geworden. Niemand anderem wollen sie ihre Haare und sich anvertrauen. Doch Ulla ist schon über 70. Die harte Arbeit im Salon wird für sie immer beschwerlicher. Wird sie es schaffen, endlich mal auf sich zu hören?
Ein Film über Vergänglichkeit und die Kunst mit Humor und in Würde zu altern.
Eines der dicht besiedelsten Wohngebiete Deutschlands: Stuttgart-West. In einer kleinen Nebenstraße, in einem der Gründerzeithäuser, befindet sich Ullas Friseursalon. Die grünen Kacheln, die silberne Tapete, die schweren Vorhänge. Alles hat hier Patina.
Ulla ist mit ihrem Laden und ihren KundInnen alt geworden. Jetzt ist sie 70. Doch aufhören will sie nicht. Ihre Kunden brauchen sie. Salon Ulla ist Marktplatz, Sozialstation und Kummerecke. Ulla bedient eine ganz spezielle Klientel: ihre Kunden sind eigentlich von unserer Gesellschaft schon in Vergessenheit geraten – aber sie sind trotzdem noch da. Und zwar mit aller Lebendigkeit: Die Alten.
Sie haben nie zum Rentner-Jetset gehört. Sie sind nicht die ewig jung gebliebenen Alten aus der Werbung. Sie würden nicht prassen, sondern lieber ihren Nachkommen ein bescheidenes Erbe hinterlassen. Ihr wöchentlicher Friseurtermin zählt für sie zum Luxus. Sie haben schon viele Weggefährten unter die Erde gebracht, haben ihre Erfahrungen gemacht, Schicksalsschläge erlebt oder Glück gehabt. Mit Stil und Ironie verabschieden sie sich aus unserer Gesellschaft. Sie haben viel zu erzählen. Sie sind Experten des Lebens.
Waschen, legen, schneiden. Ihr letzter Schatz - das Haar. Hier wird gefönt, auftoupiert, gesprayt. Damit es voll aussieht und gesund. Denn hört man auf, seine Haare zu pflegen, sehen sie darin den Anfang vom Ende.
So fahren die Taxis Woche für Woche zum Stelldichein am Salon vor. So wird die ausführliche Erörterung über den richtigen Sitz jeder einzelnen Locke zur Auflehnung gegen die eigene Vergänglichkeit.
Ullas ältester Kunde ist der hundertjährige Herr Holzschuh. Sommers wie Winters schwimmt er zweimal in der Woche morgens um sieben Uhr im Kaltwasserbecken des traditionsreichen „Leuze“ seine Bahnen, flirtet mit seinen Badebekanntschaften und schlägt dem Tod bislang noch jedes Mal ein Schnippchen.
Frau Schrag (73), vom geliebten Ehemann verlassen, glaubt nicht mehr an die Liebe. Sie reist, pflegt ihre Blumen und führt ein selbstbestimmtes, finanziell unabhängiges Leben.
Der ehemalige CDU-Stadtrat und Bankabteilungsleiter Bläser (74) ist der „Hahn im Korb“. Er kutschiert seine Damen zusammen mit seiner ehemaligen Sekretärin Frau Schrag in Reisebussen durch die entferntesten Winkel der schwäbischen Lande und spendet einer Blaskapelle jedes Jahr einen festen Betrag, weil er glaubt, daß diese gute Tat immer mit einem weiteren Lebensjahr belohnt wird.
Die skurrile Frau Eifert (86), die ob ihrer Schmerzen in den Füßen am liebsten gar nicht mehr aufwachen will und sich den wöchentlichen Friseurtermin von ihrer kärglichen Rente absparen muss, wird im Salon Ulla fast umsonst frisiert.
Herr Schweizer, mit seinen 67 Jahren das „Nesthäkchen“ des Salons, will noch nicht ans Sterben denken, auch wenn er die Stille der Friedhöfe so genießt. Der schweigsame Mathematiker fährt am liebsten Zug, weil er eine Leidenschaft für Fahrplanabweichungen entwickelt hat. Dort auf den Umleitungen sieht er Landschaften, die man sonst nie zu Gesicht bekommt und freut sich nebenbei über aufgeschreckte Reisende.
Frau Haar (87) ist von jeher ein scheues Mädchen, das vor der Girokasse und vor allem möglichen Angst hatte. Mehr oder weniger aus Versehen heiratet sie spät einen Witwer mit zwei Töchtern, der immer genau wußte, was für sie richtig war. Nachdem sie ihn zwei Jahre pflegte und kaum noch aus dem Haus ging, stand sie nach seinem Tod allein da und hatte niemanden mehr, der ihr sagte, was zu tun ist. So mußte sie am Ende ihres Lebens doch noch lernen Entscheidungen zu treffen, und sei es nur allein im Schloßgartencafé einen Eiskaffee zu trinken.
Ulla hingegen erzählt eine ganz andere Geschichte von Vergänglichkeit. Ulla steht an der Schwelle vom Berufsleben zur Rente und zögert das Überspringen Jahr für Jahr hinaus. Ulla, die frische Jugendliche, die noch gerne Tanzen geht, und deren Kleiderschrank für jeden Anlaß etwas bereit hält, wagt es nicht an ein Leben danach zu denken. Sie liebt ihre Arbeit und ihre Kunden.
Altsein wird man in Zukunft länger als man denkt, und der Traum vom „Einfach-umfallen-und-das-war’s“ bleibt in den meisten Fällen ein frommer Wunsch. Es gibt in Zukunft viel Gelegenheit, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Und Ullas Kunden tun es auch. Sie entwickeln viele Strategien im Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit - von der Flucht in den Glauben, der Hoffnung auf Wiedergeburt bis hin zur schlichten Verdrängung.
Über ein Jahr sind die Regisseure Jenke Nordalm und Michael Baumann in einen Kosmos voller Widersprüche, Lebenslust und Skurrilität eingetaucht und haben dabei sehr unterschiedliche Lebenseinsichten erfahren. „Waschen und Leben“ zeigt auf charmante und unterhaltsame Art Ulla und ihre Kunden, die Ihrer Vergänglichkeit einen beneidenswerten herzerfrischend lakonischen Humor entgegensetzen.
STAB:
Buch/Regie: Michael Baumeister und Jenke Nordalm
Kamera: Andreas Schäfauer
Ton: Sarah Costa
Schnitt: Dorothee Broeckelmann
Musik: Alexander Paeffgen
Produktionsleitung: Mette Gunnar
Produzent: Christian Drewing
Redaktion: Gudrun Hanke – El Ghomri
Eine Koproduktion der Eikon Südwest mit dem SWR