Der Menschenfeind
von Jean-Baptiste Molière, bearbeitet von Horst Jüssen
Theater Baden-Baden. Premiere 27.09.2020
Inszenierung: Jenke Nordalm
Bühne und Kostüm: Vesna Hiltmann
Mit: Oliver Jacobs, Nadine Kettler, Catharina Kottmeier, Simon Mazouri, Sebastian Mirow
Pressestimmen
Während der Hausmusik bricht es aus Oronte und Alceste heraus. Die von beiden umworbene Célimène soll sich endlich zwischen ihnen entscheiden. Doch Célimène weigert sich. Oronte packt wutentbrannt den Kontrabass und geht. Alceste folgt mit dem Cello, und nur Célimènes Cousine Eliante spielt unbeirrt ihre Stimme zu Ende. Sie hat in Philinte die Liebe ihres Lebens gefunden. Wie Pachelbels Kanon sich auflöst, weil eine Stimme nach der anderen schweigt, ist ein wunderbares Sinnbild für die Handlung von Jean-Baptiste Molière "Der Menschenfeind". Das Theater Baden-Baden hat sich für die gestraffte, modernisierte Fassung von Horst Jüssen entschieden, Jenke Nordalm hat die Komödie einfühlsam inszeniert. Mit ungebremster Wucht prallen die unterschiedlichsten Charaktere und mit ihnen völlig unvereinbare Grundsätze aufeinander. Alceste hält den Rest der Menschheit für dumm und unaufrichtig. Da er selbst sich schon in der Rolle des schonungslos ehrlichen Wahrheitsfanatikers gefällt, kritisiert er hemmungslos alles und jeden. Sebastian Mirow spielt den stacheligen Griesgram in den besten Jahren so, dass man trotzdem mit ihm fühlt. Simon Mazouri verleiht Oronte überzeugend die schwärmerische Begeisterungsfähigkeit der Jugend. Nadine Kettler stellt die schöne, lebenslustige Witwe als selbstbewusste, schlagfertige Frau dar, die es genießt, umworben zu werden. Sie genießt es so sehr, dass sie am Ende die Chance auf echtes Liebesglück verspielt. Catharina Kottmeier gibt eine warmherzige, lebenskluge Eliante und Oliver Jacobs überzeugt als gutmütiger Philinte, der stets auszugleichen versucht. Aber die Fassaden bröckeln, die Perücken und Jacken verschwinden, im Gegenzug werden die Gefühle immer deutlicher. Am Ende ist es mit Célimènes Zauber vorbei, sie steht ohne Perücke, ohne Schleppe und ohne Verehrer da. Dank der gelungenen Inszenierung, die dem Ensemble Raum zur Entfaltung lässt, verfolgt man mit Sympathie, wie die Hauptfiguren Federn lassen. Zum einen, weil sich keiner ändern will, und zum anderen, weil sie zu oft ausweichen, wenn sie offen über ihre Gefühle reden sollten.
Badener Tagblatt 28. September 20
Die Regie von Jenke Nordalm spart auf der Suche nach spielerischem Dekor nicht mit allerlei verfremdeten Zutaten, etwa wenn Philinte eine Stepptanz-Nummer absolviert, Célimène per Lift einschwebt oder Oronte sein Sonett im Glitter-Look vorträgt. Schön gelingt dagegen die Szene, in der die fünf Protagonisten sich beim Krisengespräch zu einem Streichquintett verbinden und Pachelbels berühmten D-Dur-Kanon intonieren - eine unendliche Melodie der Liebe. Sebastian Mirow spielt den unduldsamen Alceste in prägnanter Sprache zwischen Sympathie und Lächerlichkeit, und als Célimène führt Nadine Kettler den Übergang von Koketterie zu tiefem Gefühl plausibel vor. Als Vertreter einer mäßigenden Vernunft setzt Oliver Jacobs in der ein wenig spröden Rolle des Philinte klärende Akzente, Simon Mazouri macht aus dem hitzigen Bewerber Oronte eine schrille Charge, und Catharina Kottmeier steuert als handfeste Eliante ein nachhaltiges Element praktischer Klarsicht bei. Starker Beifall.
Badische Neueste Nachrichten 28. September 20